Klima-Plan für den Kanton Zürich

Klima-Plan für den Kanton Zürich

An der heutigen Pressekonferenz habe ich meinen Klima-Plan für den Kanton Zürich vorgestellt. Er enthält grundsätzliche Überlegungen zur Klima-Politik, sowie konkrete Massnahmen zum Klimaschutz.
12. Februar 2019, Martin Neukom



Grundlage

Vergleich Klima-Modell von 1982 mit der effektiv gemessenen Temperatur.

Vergleich Klima-Modell von 1982 mit der effektiv gemessenen Temperatur.

CO2 isoliert. Je mehr CO2 es in der Atmosphäre hat, desto wärmer wird es. Das hat bereits James Hansen 1981 in der Science Publikation «Klimaeinfluss der steigenden CO2-Konzentration» aufgezeigt [1]. Die globale Durchschnittstemperatur hat sich bis heute so entwickelt, wie damals prognostiziert [2]. Da das CO2 in der Atmosphäre verbleibt, ist diese Entwicklung grundsätzlich irreversibel, also unumkehrbar.
Mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit hat das Klima einen Kipp-Punkt. Das heisst, ab einer gewissen Temperatur und CO2-Konzentration, beginnt sich die Erde von selber zu erwärmen. In den grossen Eismassen der Antarktis lagern enorme Mengen an CO2 und Methan [3]. Schmilzt dieses Eis aufgrund der erhöhten Temperatur werden diese Treibhausgase frei und es wird noch wärmer. Ab einem gewissen Punkt wird eine Kettenreaktion in Gang gesetzt. Die Folgen davon wären komplett unkontrollierbar und mit Sicherheit fatal für die menschliche Gemeinschaft auf der Erde. Wo dieser Kipp-Punkt genau liegt, wissen wir nicht. Der IPCC geht davon aus, dass wir den sogenannten Climate-Runaway vermeiden, wenn die Temperaturerhöhung deutlich unter 2 Grad bleibt. Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg liegt daher richtig mit ihrer Aussage, die Klima-Frage sei schwarz-weiss:
«Either we reach a tipping point where we start a chain reaction with events way beyond human control, or we don’t. Either we go on as a civilization, or we don’t.» [4]

noetige-emissions-reduktion

Was nötig ist

Folglich reicht es nicht, wenn die Emissionen ein bisschen sinken. Das würde lediglich den Zeitpunkt der gefährlichen Kettenreaktion etwas verzögern. Das Klima zu stabilisieren schafft die Erdgemeinschaft nur, wenn sie ihre Emissionen auf Null senkt. Bis wann?: So schnell wie möglich, spätestens bis 2050.

klima-moralismus

Moralismus hilft nicht

«Jeder kann etwas beitragen», lautet der oft verwendete Satz in der Debatte. Das ist zwar richtig, die Diskussion um individuellen Konsum ist jedoch irreführend. Der Fokus auf individuellen Konsum schiebt die Verantwortung von der Bürgerin / dem Bürger zur Konsumentin / zum Konsumenten. Heute ist es in der Schweiz gar nicht möglich, persönlich klimaverträglich zu leben. Durch moralische Appelle die Klimakrise lösen zu wollen, ist naiv. Die Klima-Krise ist eine politische Krise und braucht daher politische Lösungen.

Verantwortung

Die Inlandemissionen der Schweiz liegen bei 4.5 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr [5]. Im internationalen Vergleich ist das wenig. Das liegt jedoch daran, dass die Schweiz kaum mehr Grossindustrie beherbergt. Rechnet man die grauen Emissionen dazu, ergibt sich ein Ausstoss von rund 15 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr. Damit liegen wir nur noch knapp hinter den USA und deutlich vor Deutschland und China. Und: Damit geht die Verantwortung einher einen Beitrag zur Lösung der Klimakrise zu leisten.

Was kann die kleine Schweiz tun?

Durch die richtigen staatlichen Rahmenbedingungen werden technologische Entwicklungen ausgelöst. Zum Beispiel Entwicklungen im Bereich der Gebäudetechnik, wenn neue Öl-Heizungen verboten würden. Technologien, die sich dadurch entwickeln, können weltweit exportiert werden. Dabei könnte die Schweiz deutlich über ihre Grenzen hinaus Einfluss haben. Ein positiver Nebeneffekt ist die wirtschaftliche Stimulation.
Wenn es ums Geld geht, ist die Schweiz nicht klein. Schweizer Finanzinstitute finanzieren weltweit Erdöl-, Erdgas- und Kohle-Firmen. Die damit verbundenen Emissionen betragen das 20-fache des Schweizer Inlandausstosses [6]. Hier liegt ein extrem grosser «Hebel», hier kann die kleine Schweiz Grosses bewirken.

Kosten-Entwicklung von Solar-Modulen. Durch Massenproduktion im Gigawatt-Bereich sind die Preise enorm gesunken.

Kosten-Entwicklung von Solar-Modulen. Durch Massenproduktion im Gigawatt-Bereich sind die Preise enorm gesunken.

Was kostet Klimaschutz?

Klimaschutz ist nicht kostenlos zu haben. Eines ist jedoch klar: Nichts zu tun, kommt auf jeden Fall teurer. Im Technologiebereich fallen die meisten Kosten für die Transformation an. Zu Beginn ist jede neue Technologie teuer. Erst in der grossen Masse werden Technologien günstig. 1990 kostete ein Solarmodul mehr als 10 Franken pro Watt Leistung. Erst durch die breite Massenproduktion, angestossen durch die Einspeisevergütung in Deutschland, sanken die Preise. Heute liegen sie bei 50 Rappen pro Watt Leistung. Die gleiche Entwicklung ist bei den Energiespeichern im Gange.


Post-Fossile Gesellschaft

Häufig fokussiert die Klimapolitik darauf, wie CO2-Emissionen reduziert werden können. Dieser Ansatz ist heute nicht mehr zielführend. Dafür sind wir zu spät dran. Wenn die SWISS schreibt, dass ihre neuen Flugzeuge weniger Kerosin brauchen, dann ist das zwar eine kurzfristige Reduktion – auf Null kommt man mit der «Strategie Effizienz» jedoch nicht. Die Frage muss darum lauten: Wie sehen Wirtschaft und Gesellschaft ohne fossile Energie aus – und wie kommen wir dort hin? Im folgenden betrachte ich verschiedene Bereiche aus Sicht von 2050 und mit dem Ziel von Null CO2-Emissionen und zeige auf, mit welchen Massnahmen wir dieses Ziel erreichen können.

1 | Gebäude

Solarhaus in Oerlikon: Sogar die Fassade besteht aus Solarzellen. Damit produziert das Gebäude mehr Energie, als es für Strom, Warmwasser und Heizung benötigt.

Solarhaus in Oerlikon: Sogar die Fassade besteht aus Solarzellen. Damit produziert das Gebäude mehr Energie, als es für Strom, Warmwasser und Heizung benötigt.

Technisch ist es heute möglich Gebäude zu bauen, die mehr Energie erzeugen, als sie für Strom, Warm- wasser und Heizung verbrauchen. Die Energie wird über Solarzellen auf Dach und Fassade bereitgestellt. Dies muss zu neuen Standard werden.
Auch bestehende Gebäude können so saniert werden, dass sie ohne fossile Energie auskommen. Dies kann beispielsweise mittels Solarenergie in Kombination mit Wärmepumpen und Wärmespeicherung im Boden realisiert werden. Alternative Möglichkeiten sind Fernwärme, Holzschnitzelheizungen oder Ersatzneubauten.
Aktuell liegt die Sanierungsrate im Kanton Zürich bei 1% der Gebäude pro Jahr. Damit bis 2050 alle Ge- bäude saniert sind, muss die Rate auf 3% angehoben werden.
Es soll ein CO2-Grenzwert für bestehende Gebäude eingeführt werden, der immer dann zum Tragen kommt, wenn eine Gebäudeheizung ausgewechselt wird. Dieser Grenzwert wird schrittweise reduziert und erreicht 2030 Null. Bei einer typischen Einsatzdauer von Heizungen von 20 Jahren ist somit der Gebäudepark ab 2050 fossilfrei.

2 | Mobilität

Mobilität hat sehr viel mit Raumplanung zu tun. Je weiter alles auseinander liegt, desto längere Strecken müssen pro Tag zurückgelegt werden. Wo ich aufgewachsen bin, war früher der Coop in Gehdistanz. Heute ist dieser geschlossen. Vermutlich fahren nun einige Leute von dort mit dem Auto zum Einkaufen. Lokale Strukturen müssen erhalten oder neu aufgebaut werden und zudem müssen die Arbeitsplätze besser im Kanton verteilt werden.
Der verbleibende Verkehr sollte, soweit es geht, auf öV und Aktivverkehr (Velo, e-Velo usw.) verlagert werden. Das geschieht nicht über Verbote, sondern über Attraktivitätssteigerungen. Eine gute Velo-Infrastruktur führt dazu, dass mehr Leute das Velo benutzen. Beim Zürcher öV funktioniert dieses Prinzip hervorragend.
Der verbleibende Autoverkehr wird 100% elektrifiziert. Die Energie ist entweder in Batterien oder als Wasserstoff gespeichert [7] – beides mit Vor- und Nachteilen. Werden Batterien mit erneuerbarer Energie produziert, wird auch die Ökobilanz von Elektrofahrzeugen ausreichend gut. Aktuell reicht der Zubau an Erneuerbaren (hauptsächlich Solar) nicht aus, um die Atomkraft zu ersetzen und den Zusatzbedarf der Elektromobilität abzudecken. Darum muss der Zubau an Solarenergie beschleunigt werden.
Ähnlich wie bei den Gebäuden sind für Fahrzeuge fixe CO2-Grenzwerte [8] einzuführen. Die Fahrzeugzulassung ist Sache des Bundes. Für Raumplanung und der Bau von Verkehrsinfrastruktur ist aber der Kanton zuständig.

3 | Flugverkehr

Es ist heute schon möglich, mit Solarstrom Wasserstoff herzustellen. Mittels CO2, das aus der Luft gefiltert wird, kann das Gas Methan [9] hergestellt werden. Dieses Methan kann klimaneutral verbrannt werden.
Der Flugverkehr muss vollständig auf Wasserstoff oder Methan umsteigen, das mit erneuerbarer Energie produziert wurde. Dazu muss die Flugindustrie mittels Vorschriften gezwungen werden. Die angekündigten freiwilligen Massnahmen der Flugindustrie ab 2020 sind – mit Verlaub – lächerlich.
Bis es soweit ist, können mit einer Flugticketabgabe Exzesse reduziert werden. Dies ist zwar ebenfalls Bundeskompetenz. Der Kanton kann jedoch als Eigner der Flughafen Zürich AG Einfluss nehmen.

4 | Finanzen

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Im Klimaabkommen von Paris ist explizit aufgeführt, dass die Finanzflüsse in Einklang mit den Klima- zielen gebracht werden müssen. Die Schweiz mit ihrem starken Finanzplatz ist hier stark gefordert. Alle Investitionen in Firmen, die Öl-, Gas- und Kohle-Reserven fördern, müssen abgezogen werden. Wie bereits erwähnt, ist heute im Bereich Investitionen das 20-fache der Inland-Emissionen verbunden. Hier hat die Schweiz weltweit Einfluss.
Vorschriften für den Finanzplatz im Allgemeinen sind Bundesangelegenheit. Bis diese erlassen sind, kann der Kanton seine eigenen Geld-Anlagen bereinigen, so wie diejenigen der Zürcher Kantonalbank (ZKB), der Gebäudeversicherung (GVZ), der Universität (UZH), seiner Pensionskasse (BVK) und weiteren Institutionen. Entsprechende Vorstösse sind bereits im Kantonsrat eingereicht [10].

5 | Kohlenstoff-Senken einrichten

Die Gefahr ist gross, dass es der Menschheit nicht gelingt, die Emissionen rasch genug auf Null zu senken. Um trotzdem zu verhindern, dass das Klima-System einen Kipp-Punkt überschreitet, wird es vermutlich nötig sein, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen.
Naturnahe Möglichkeiten dies zu erreichen sind Aufforstung, gute Waldbewirtschaftung, die Pflege von Mooren und die Steigerung des Humusgehalts im Boden.
Alternativ kann CO2 aus der Luft gefiltert werden [11]. Dieses CO2 kann mit Kalk gebunden werden, damit es risikofrei unterirdisch gelagert werden kann. Es ist noch unklar, ob diese Methode geeignet ist, grosse CO2-Mengen aus der Atmosphäre zu entfernen und wie es finanziert werden würde.

6 | Weitere Massnahmen

Natürlich sind auch weitere Massnahmen möglich – und nötig.
So müssen alle Prozesse in der Industrie mit erneuerbarer Energie auskommen. Dafür sind flankierende Massnahmen nötig, falls die Schweiz oder der Kanton schneller vorangehen als das umliegende Ausland.
Spezielles Augenmerk verdient die Zementindustrie. Die Produktion von Zement ist erstens energieintensiv, zweitens entsteht beim Aushärten von Zement prozessbedingt CO2.
Auch in der Landwirtschaft braucht es eine Transformation zu erneuerbarer Energie. Massnahmen sind nötig im Bereich Düngen und der Haltung von Kühen, da beides klimaschädliche Gase produziert.

Die knappste Ressource – der politische Wille

Die genannten Punkte zeigen auf, in welche Richtung es gehen könnte, um ernsthaften, wirksamen Klimaschutz umzusetzen und einen Teil zur Lösung beizutragen.
Die aktuell knappste Ressource im Bereich Klimaschutz ist der politische Wille. Für aktiven Klimaschutz brauchen wir progressivere Mehrheitsverhältnisse in Parlament und Regierung sowie den konstanten Druck aus der Bevölkerung.
Die erfolgreiche Umsetzung von wirksamen Massnahmen hängt davon ab, ob es gelingt, die Bevölkerung zu überzeugen, dass Klimaschutz auf lange Frist auch volkswirtschaftliche Vorteile bringen kann.

Klima-Plan als PDF

Referenzen:

  1. J. Hansen, D. Johnson, A. Lacis, S. Lebedeff P. Lee, D. Rind, G. Russell, Climate Impact of Increasing Atmospheric Carbon Dioxide, Science, 213, 4511 (1981).

  2. Siehe Stefan Ramstorf, Vergleich mit Studie von Exxon, 10. Dezember 2018.

  3. Man geht davon aus, dass im Eis die doppelte Menge CO2 vorhanden ist, wie heute in der Atmosphäre.

  4. Greta Thunberg, Facebook-Post, 2.2.2019

  5. Von den Inlandemissionen werden die Exporte abgezogen und die Importe dazugezählt. Daten von ourworldindata.org.

  6. Klima-Allianz Schweiz, Klima-Masterplan Schweiz, Juni 2016.

  7. Alternativ ist auch sogenannter synthetischer Diesel oder Methan als Kraftstoff denkbar, der mit erneuerbarer Energie produziert wird.

  8. Die Rede ist hier von Grenzwerten und nicht von Mittelwerten, wie aktuell für Fahrzeugimporteure vorgeschrieben.

  9. Erdgas besteht hauptsächlich aus Methan (CH4).

  10. Postulat «Nachhaltig Investieren» 131/2017.
    Parlamentarische Initiative «Desinvestition der ZKB aus fossilen Investitionen» 233/2018.

  11. Eine Pilotanlage der Firma Climeworks ist in Hinwil in Betrieb.

Martin Neukom