Versorgungssicherheit im Winter

Haben wir genügend Strom in Zukunft? Auch wenn die Kernkraftwerke abgestellt werden? Auch wenn zusätzlich alle Öl- und Gasheizungen durch elektrische Wärmepumpen ersetzt werden und der Verbrauch steigt? Und wenn wir weiter noch alle Fahrzeuge durch Elektrofahrzeuge ersetzen?

Solarstrom wird zu einem wichtigen Standbein der Stromversorgung. Alleine mit Solarstrom lässt sich die Versorgung aber nicht meistern. Im Videobeitrag zeige ich, wie es gelingen könnte.



Nachfolgend die Einzelheiten zu den Berechnungen, die im Videobeitrag gezeigt werden. Es wird die Stromversorgung der ganzen Schweiz betrachtet.

Ausgangslage Stromversorgung Schweiz

Die nachfolgende Grafik zeigt die aktuelle Ausgangslage der Schweiz. Es sind die realen Produktions- und Verbrauchsdaten dargestellt als Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2022 (Daten von ENTSO-E über Swiss Energy-Charts). Bei der Solarenergie ist nur das Jahr 2022 dargestellt, da die Solarenergie in den letzten fünf Jahren sehr stark gewachsen ist und der Durchschnitt nicht aussagekräftig wäre.
Im Winter muss die Schweiz im Schnitt Strom importieren. Im Sommer wird exportiert.

Stromproduktion und -verbrauch der Schweiz im Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2022.

Wachstum und Energieeffizienz

Trotz Bevölkerungswachstum blieb der Stromverbrauch ungefähr konstant über die letzten 20 Jahre.

Trotz Bevölkerungswachstum blieb der Stromverbrauch in der Schweiz in den letzten 20 Jahren ungefähr konstant. Das liegt daran, dass in der gleichen Zeitperiode durch gesteigerte Energieeffizienz der Stromverbrauch pro Kopf abnahm. Für die nachfolgende Betrachtung nehmen wir an, dass der Stromverbrauch pro Kopf weiterhin sinkt und so der Stromverbrauch (ausgenommen Elektromobilität und Wärmepumpen) trotz Bevölkerungswachstum konstant bleibt.

 

Elektromobilität und Wärmepumpen

Für die Betrachtung wird angenommen, dass alle Fahrzeuge durch Elektrofahrzeuge ersetzt werden. Um die jährlichen 59 Mrd. Kilometer durch Personenfahrzeuge zu ersetzen werden 11.8 TWh pro Jahr benötigt (15 kWh/100 km). Dazu kommen 1.5 TWh/a für alle leichten Güterfahrzeuge und 1.2 TWh/a für die schweren Güterfahrzeuge. Zusammen ergibt das zusätzliche 14.5 TWh/a. Zum Vergleich: Die Axpo verwendet in ihren Berechnungen etwas mehr, nämlich 17 TWh/a.
Aktuell wird zur Beheizung von Gebäuden rund 40 TWh/a fossile Energie benötigt. Durch Gebäudesanierungen sinkt dieser Wert um durchschnittlich 0.4 TWh pro Jahr. Im Jahr 2050 verbleibt bei gleich bleibender Sanierungsrate ein Energiebedarf von rund 29 TWh/a. Um diesen Bedarf vollständig mit Wärmepumpen zu decken, braucht es rund 8.5 TWh/a an Strom (Annahme JAZ von 3.4). Ich runde auf 9 TWh/a. Das ist gleich viel, wie die Axpo in ihren Berechnungen annimmt. Dieser Verbrauch wird proportional zu den Heizgradtagen auf das Jahr verteilt.

Damit steigt der Strombedarf folgendermassen an.

Erwarteter Anstieg des Stromverbrauchs durch die vollständige Elektrifizierung des Verkehrs und den vollständigen Umstieg auf Wärmepumpen.

Wegfall der Kernenergie

Früher oder später werden die vier Kernkraftwerke in der Schweiz ausgeschaltet werden müssen. Dadurch würde zusammen mit der Zunahme der Nachfrage eine Lücke von 45 TWh/a entstehen, wie dargestellt.

Ausbau der Solarenergie

Der Ausbau der Solarenergie auf den Dächern kommt aktuell gut voran. Es entstehen wenig Interessenskonflikte und die Kosten halten sich im Rahmen. Wenn der Solar-Ausbau noch etwas steigt und über zwei Jahrzehnte anhält, würde eine Stromproduktion von 40 TWh/a erreicht. Die 40 TWh wurden proportional zu der Solarstromproduktion 2022 über das Jahr verteilt.

Szenario einer Stromversorgung der Schweiz nur mit Wasserkraft und Solarstrom.

Ein grosser Teil des Stromverbrauchs könnte gedeckt werden in diesem Szenario. Allerdings verbleiben auch bei einem starken Solarausbau rund 22 TWh/a, die importiert werden müssten im Winter. Das ist zu viel. Nachfolgend ein Szenario, wie diese Strommenge gedeckt werden könnte.

Szenario für die Stromversorgung

Nachfolgend dargestellt ist eine Möglichkeit, wie der Strombedarf gedeckt werden könnte. Ich betone, dass dies eine Möglichkeit ist, nicht mehr und nicht weniger. Ob dies politisch umsetzbar ist, das ist eine ganz andere Frage. Technisch ist es möglich. Erreicht wird die Deckung durch eine Kombination aus verschiedenen Massnahmen:

  • Ersatz aller Elektroheizungen und -boiler: Dies spart 3.6 TWh/a an Strom.

  • Ausbau der Wasserkraft: alle 15 Projekte des runden Tisches Wasserkraft. Damit kann 2 TWh/a von den Sommermonaten in die Wintermonate “verschoben” werden.

  • Ausbau der Geothermie: gemäss Axpo Szenario könnte damit 2 TWh/a produziert werden.

  • Ausbau der Stromerzeugung durch Biogas: gemäss Axpo Szenario könnte damit 4 TWh/a produziert werden.

  • Ausbau der Windkraft: Es wird ein Ausbau 9 TWh/a angenommen. Dies entspricht 900 grossen Anlagen mit einer Jahresproduktion von je 10 GWh. Zum Vergleich: In Österreich stehen 1300 Windenergieanlagen.

  • Ausbau von alpinen Solaranlagen: Damit könnten 10 TWh/a an Strom erzeugt werden. Dies würde bedeuten, dass 17 alpine Solaranlagen in der Grösse von Grengiols Solar (600 GWh/a) umgesetzt werden. Bei Grengiols Solar kann aktuell hingegen nur eine Produktion von 150 GWh/a realisiert werden. Dies zeigt die politischen und rechtlichen Schwierigkeiten der Umsetzung exemplarisch.

  • Ausbau von Solaranlagen an Südfassaden: Solaranlagen an Südfassaden von Gebäuden liefern mehr Strom im Winter als klassische Dachanlagen. Das Potenzial an Fassaden wird auf 17 TWh/a geschätzt. Für die Berechnung werden 7 TWh/a angenommen.

  • Ausbau der saisonalen Energiespeicherung: Strom vom Sommer in den Winter zu speichern ist aktuell noch sehr teuer. Technisch gibt es verschiedene Möglichkeiten wie die Produktion von Wasserstoff, Power-to-Metal, als Wärmespeicher, Erdsondenregeneration, usw. Allen Methoden gemeinsam ist, dass der Wirkungsgrad tief ist. Für die Berechnung wird angenommen, dass im Sommer 11 TWh verbraucht werden, um 2.8 TWh Winterstrom zu erhalten (Wirkungsgrad von 25%).

Die Stromproduktion aus Biomasse und Geothermie wurde als konstant übers Jahr angenommen. Die Windenergie wurde proportional verteilt zur heutigen Windstromproduktion (aktuell nur rund 45 Anlagen). Die Jahresverteilung der alpinen Solaranlagen und der Solaranlagen an Fassaden wurden proportional zu den Daten der Berner Fachhochschule verteilt. Die Einsparung durch Ersatz der Elektroboiler durch Wärmepumpen (1.4 TWh) wurde als übers Jahr konstant angenommen. Die Einsparung durch Ersatz Elektroheizungen mit Wärmepumpen (2.2 TWh) wurde proportional zu den Heizgradtagen verteilt.

Szenario für eine Stromversorgung mit erneuerbaren Energien in der Schweiz.

Dieses Szenario kann aus Ausgangslage betrachtet werden für weitere Überlegungen. Im Szenario wird 100% der Stromnachfrage im Inland gedeckt. Das ist nicht zwingend nötig. Es ist wohl ökonomisch sinnvoller auch Strom zu importieren. Dadurch könnte der Ausbau von alpinen Solaranlagen und der Ausbau von Windkraft etwas reduziert werden.

Ich möchte hier nochmals betonen: 9 TWh/a Windenergie, 10 TWh/a alpine Solaranlagen und 7 TWh/a durch Fassaden-Solaranlagen, das ist sehr viel. Die Herausforderung der Stromversorgung ist also nicht getan mit einem halbherzigen Ausbau der erneurbaren Energien. Es braucht davon richtig viel und das wird in der Landschaft sichtbar sein. Sonst schaffen wir es nicht.

In dieser Betrachtung nicht aufgeführt ist die Stabilität des Netzes. Hier braucht es zusätzliche Massnahmen zur Integration der fluktuierenden Erneuerbaren. Auch das ist technisch machbar und ein Thema für einen zukünftigen Blog-Beitrag.

Fazit

Grundsätzlich ist es möglich in der Schweiz genügend Strom zu produzieren, um den Wegfall der Kernkraft mittelfristig zu ersetzen und ebenfalls die zusätzliche Stromnachfrage der Dekarbonisierung Verkehr und Gebäude zu decken. Dazu braucht es allerdings verschiedenste Massnahmen in Kombination und der politische Wille, diese Massnahmen auch umzusetzen.

Martin Neukom